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Ein großer Moerser ist neu zu entdecken: Der Dichter des „Liedes der Lieder“

Ein großer Moerser ist neu zu entdecken : Der Dichter des „Liedes der Lieder“

Es ist immer noch nicht bekannt genug: Johann Esser, der Dichter des Liedes von den Moorsoldaten, hat bis zu seinem Tod in Moers gelebt. Und weiter gedichtet: 7.000 Gedichte hat der Bergmann und Antifaschist hinterlassen, jetzt gibt es eine Auswahl mit Schlaglichtern auf seine dramatische Lebensgeschichte - die erste Buchveröffentlichung überhaupt.

Das Lied von den Moorsoldaten ist genau vor 90 Jahren im Konzentrationslager Börgermoor im Emsland entstanden. Am 27. August 1933 wurde es bei einer Vorstellung ihres „Zirkus Kontrazani“ von 16 Häftlingen uraufgeführt, die fast 1.000 Mitgefangenen sangen schon nach der zweiten Strophe den Refrain mit. Zwei Tage später wurde das Lied von der Lagerleitung verboten, doch ausgerechnet das Wachpersonal verlangte weiterhin, dass das Lied von den Häftlingen auf ihren Märschen zum Arbeitsplatz gesungen wurde. Noch im September ‘33 schmuggelten Frauen der Inhaftierten den Liedtext aus dem Lager, Abschriften kursierten in ganz Europa, heute sind weltweit mindestens 500 Versionen in verschiedenen Sprachen bekannt. „Heute würde man sagen: Das Lied ist viral gegangen“, so Ulrich Hecker vom Verein Erinnern für die Zukunft. Sparkassensprecher Jörg Zimmer kann sich an einen Schulfreund erinnern, bei dem das Lied zuhause regelmäßig gesungen wurde; in der DDR, wo der ehemalige Schauspieler Patrick Dollas aufgewachsen ist, gehörte das Lied zum Schulrepertoire.

„Die Verse hat irgendein Kumpel geschrieben“, dichtete Johann Esser später über das von ihm verfasste „Lied der Lieder“. Esser gehörte zu den ersten in „Schutzhaft“ Genommenen nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Die konnten dabei auf gründlich-deutsche Vorarbeit zurückgreifen: Seit Ende der 1920er, Anfang der 30er Jahre tauchte Esser auf Schwarzen Listen der Polizei auf; insbesondere der Rheinhauser Kommissar Mischer hatte den Kommunisten und Gewerkschafter auf dem Kieker. 1930 war Esser wegen Aufrufs zum Streik von der Zeche Diergardt in Rheinhausen entlassen worden. Bis 1934 dauerte die erste „Schutzhaft“ in Börgermoor und zwei weiteren KZs, weitere Verhaftungen und Haft im KZ Sachsenhausen 1937 folgten. Seine erste Frau ist darüber verrückt geworden. Nach Einweisung in eine psychiatrische Klinik und mehreren Verlegungen wurde sie 1945 in Gnesen, polnisch Gniezno, ein Opfer der NS-Euthanasie - kurz bevor die Rote Armee Gnesen befreite.

Über all das wurde zuhause nicht gesprochen, erinnert sich seine Enkelin Jutta Esser, die zusammen mit Ulrich Hecker, Fritz Burger und Patrick Dollas den Gedichtband „Der Spatz am Gitter“ herausgegeben und dafür die Biographie ihres Großvaters aufgearbeitet hat. Sie hat kaum Erinnerungen an ihn, als er 1971 in Moers-Meerbeck starb, war sie gerade vier Jahre alt. Aber dass Johann Esser ständig geschrieben hat „wie ein Wilder“, das hat ihr ihre Oma, Essers zweite Frau, bestätigt. „Das war Traumaverarbeitung“, ist sich Jutta Esser sicher.

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Wie überhaupt der uneheliche Sohn einer Dienstmagd zum Dichter wurde, weiß Jutta Esser auch nicht. „Aus eigener Kraft“, muss man mit Blick auf die biografischen Gedichte wohl sagen. Esser verehrte Heine und Tucholsky; Sprache, Versmaß und Bildkraft beweisen, dass er sein Handwerk auch als Dichter verstand. Neun Kisten mit 7.000 Gedichten, per Hand in Reinschrift, lagern im Kreisarchiv Wesel. Durch etwa 3.000 haben sich die Herausgeber für die erste Auswahl durchgearbeitet. Sein ganzes von Verlust, Armut, Drangsalierung und spätem Familienglück geprägtes Leben ist in der Auswahl abgebildet, auch humorvolle Gedichte sind dabei, und zu sagen haben sie auch den Nachgeborenen noch jede Menge. Zeit und Gelegenheit für Moers, einen großen Arbeiter, Dichter und Humanisten neu zu entdecken!

Am Mittwoch. 26. April, gibt es um 19 Uhr im Landratsamt eine erste öffentliche Lesung aus dem Buch, Eintritt frei.