1. Krefeld

Alter Tiergarten: Selbst Buffalo Bill kam zu Besuch

Alter Tiergarten in Krefeld : Selbst Buffalo Bill kam zu Besuch

Der „Tiergarten“ war im 19. Jahrhundert die beliebteste Vergnügungsstätte der Krefelder Bürger. Es gab Exotik, Akrobatik und Sensationen.

„Des nach Tausenden zählenden Publikums hatte sich während des Vorgangs eine große Aufregung bemächtigt. Viele Frauen fielen in Ohnmacht.“ Gebannt schauen die Menschen im Krefelder Tiergarten gen Himmel.

Bei ihrem letzten Sprung an jenem Tag löst sich der Fallschirm von „Miss Polly“ nicht richtig aus, sondern bleibt an der Gondel des Fesselballons hängen. Hilflos hängt sie in der Höhe am Ballon. Ihr Kollege in der Gondel bringt das Gefährt rasch nach unten. Dabei gelingt es „Miss Polly“, eines der herunterhängenden Schleppseile zu fassen. „An diesem ließ sie sich unter Einbüßung der Haut der Handflächen zur Erde hinabgleiten“, berichtet eine Zeitung.

Unglücklicherweise landet die Artistin aber nicht auf dem Boden, sondern in einem Baum. Nach ihrer erfolgreichen Bergung wird sie zwar bewusstlos und leicht lädiert, aber lebendig davongetragen.

Das Ereignis löst derweil unter den Zuschauern eine Panik aus. Scharenweise werden Absperrungen vom aufgeregten Publikum überklettert. Die an den Tiergarten grenzenden Grundstücke werden dabei zum Teil verwüstet.

Dieses dramatische Ereignis beobachten zahlreiche Krefelder vom Gelände des Tiergartens, dem Treffpunkt der Krefelder Gesellschaft. Gelegen an der Landstraße nach Uerdingen war es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Vergnügungsstätte.

Exotik, Romantik, wilde Tiere, Musik und Tanz – wer sich amüsieren wollte, fuhr vor die Tore der Stadt. Sonntags rumpelten die Droschken, die 1883 durch die Dampfbahn nach Uerdingen Konkurrenz erhielten, über das holprige Pflaster der Rheinstraße hinaus zum Tiergarten, um sich dort gut unterhalten zu lassen.

Der Bankier Gustav Molenaar (1811-1864) kaufte 1861 das zwischen Uerdinger, Tiergarten-, Schönwasser- und Grenzstraße gelegene Areal, ein aus Busch und Ödland bestehendes Gelände, und ließ es durch den Gartendirektor Joseph Clemens Weyhe (1807-1871), Sohn des Schöpfers des Düsseldorfer Hofgartens, zu einer großzügigen Parkanlage gestalten.

Die Besitzung nannte er „Eichenau“, in deren Zentrum er ein Herrenhaus im italienischen Landhausstil errichten ließ – es steht noch heute als Teil des Kinderheims Kastanienhof.

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Ein Weiher bildete den Mittelpunkt des mit geschwungenen Wegen, Baumgruppen und Rosenbeeten gezierten Parks. Aus dem nördlichen Teil des Landsitzes entstand dann 1879 der „Thiergarten“. Der Färbereibesitzer Carl Müller-Küchler kaufte das Areal und eröffnete den Freizeitpark mit Restaurant und einigen Tiergehegen.

Stattlicher Tierbestand

Für den Sommer 1880 ist schon ein stattlicher Tierbestand belegt: ein paar mittelgroße Affen, ein Paar Pinseläffchen, ein Löwe und eine Löwin, Wölfe mit sechs Jungtieren, zwei junge Füchse, ein Bärenpaar, ein Dachs, fünf Damhirsche, zwölf Shetlandponys, ein Fuchskusu (australisches Beuteltier), zwei Nasenbären, Wildschweine, Meerschweinchen, Kaninchen, Möpse, zwei Steinadler, eine Gabelweihe, Schleiereulen und Steinkäuze, zwei Fischreiher, Schwäne, Gänse, Enten und Hühnervögel, darunter Fasane und Tauben, Papageien und griechische Landschildkröten.

Besonders die Affen hatten es wohl den Besuchern angetan, die sie mit Früchten und Mehlwürmern fütterten. Über allem thronte Pascha, der Löwe, der „allgemeine Liebling des Publikums“, wie eine Zeitung schilderte. Seine Gefährtin wurde in Berichten der Zeit eher als missmutig beschrieben. Damit die Besucher mehr über Tiere und Pflanzen erfuhren, informierten Tafeln im Park über deren Art und Herkunft.

Menschen, Tiere, Sensationen – unter diesem Motto erwartete kleine und große Besucher im Tiergarten stets ein abwechslungsreiches Programm, unter anderem gastierte dort Buffalo Bill mit seiner Wildwest-Show.

Die Ballonaufstiege von „Miss Polly“ und anderen Luftakrobaten lockten als beliebte und aufregende Attraktion immer wieder die Massen in den Park. Zudem wurden dort Motto-Kinderfeste veranstaltet, Ponyreiten, romantische Kahnfahrten um die Venusgrotte, im Winter wurde Schlittschuh gelaufen auf dem zugefrorenen Weiher.

An lauen Sommerabenden erfreuten sich die Menschen an dem illuminierten Park, Liebespaare – oder die es werden wollten – schlenderten auf der „Seufzerallee“. Ferner gab es eine überdachte Rollschuhbahn und eine Konzerthalle, in der auch Ensembles des Stadttheaters auftraten. Festliche Illumination der Anlagen, Gondelfahrten bei bengalischem Feuer, Fahnen- und Fackelumzüge sowie Feuerwerke zogen regelmäßig Publikum an. Zudem gastierten im Tiergarten Attraktionen der damaligen Zeit, wie der Trapezkünstler Monsieur Wilson und die exotische „Möllersche Nubierkarawane“ mit Giraffen und Elefanten. Militärkapellen aus nah und fern spielten zum Nachmittagskonzert oder Tanz auf.

Die aufregenden Zeiten an der Uerdinger Straße endeten jedoch noch vor dem Ersten Weltkrieg. Der Betrieb lohnte sich nicht mehr. Der Tierbestand wurde so weit wie möglich verkauft. Nur zwei Braunbären blieben übrig. Sie fanden ein unrühmliches Ende als Festbraten bei einem der letzten Gala-Diners in dem dortigen Restaurant.

Die Eheleute Ernst Kniffler, in deren Besitz die Anlage 1887 übergegangen war, vermachten das Grundstück durch zwei Schenkungen in den Jahren 1916 und 1918 dem Krefelder Frauenverein zur Errichtung eines Säuglingsheims. Es wurde erst 1954 gebaut, heute ist auf dem Areal das Kinderheim Kastanienhof. Unweit des alten Tiergartens wurde 1938 der heutige Zoo eröffnet.

Vom alten Tiergarten ist fast alles verschwunden. Der Weiher wurde zugeschüttet. Die Gebäude sind bis auf das Haupthaus und die Bärenhöhle beziehungsweise Venusgrotte abgerissen.

Die Grotte wurde im April 1991 in die Krefelder Denkmalliste eingetragen. Von der Straße nicht sichtbar, liegt sie inmitten des mit einem alten Baumbestand versehenden Karree Uerdinger, Schönwasser-, Tiergarten- und Kaiserstraße. Der künstliche Felsen aus Lavagestein wurde mal als Bärenhöhle, mal Venusgrotte bezeichnet. Damals wie heute steht ein Pavillon auf dem Felsen.