1. Krefeld

Weltweit erste Gegenüberstellung: Beuys trifft auf Vaterfigur Duchamp

Weltweit erste Gegenüberstellung : Beuys trifft auf Vaterfigur Duchamp

Keinen anderen Künstler hat Joseph Beuys (1921-1986) in Interviews häufiger erwähnt als Marcel Duchamp (1887-1968), es gibt nicht wenige, die dem französischen Künstler gar eine Vater-Rolle zugestehen.

Keiner schien ihn stärker herauszufordern. Begegnet sind sich die beiden jedoch nie. Nun aber kommt es weltweit erstmals zu einer Gegenüberstellung der Werke der beiden bedeutenden Persönlichkeiten. „Das ist unser ‚Big Bang‘, unser großer Abschied aus dem Beuys-Jubiläumsjahr“, sagt Museumsleiterin Katia Baudin zur Ausstellung „Beuys & Duchamp. Künstler der Zukunft“. Im Kaiser-Wilhelm-Museum treten ab Freitag, 8. Oktober, in ihr zwei Protagonisten des 20. Jahrhunderts in einen Dialog, die – jeder auf seine Art und zu seiner Zeit – den Begriff von Kunst radikal verändert haben. Zeitgleich gibt es in Haus Lange und Haus Esters „Mensch Natur Politik“ – Beuys im Kontext der Sammlung zu sehen. Diese Präsentation begibt sich anhand der Museumsgeschichte auf Beuys‘ Spuren von den 1960er-Jahren bis in die Gegenwart.

Marcel Duchamp, der mit seinen ab 1913 entstehenden „Readymades“ – Alltagsgegenständen wie Flaschentrockner, Pissoir oder Kleiderhaken – die Kunst und ihre Rezeption auf völlig neue Grundlagen stellte, wurde in den 1960er-Jahren von einer jüngeren Künstlergeneration in den USA und Europa als Impulsgeber und Wegbereiter der Konzeptkunst entdeckt. Auch Joseph Beuys‘ legendäre Aktion von 1964 „Das Schweigen von Marcel Duchamp wird überbewertet“ zählt zu den künstlerischen Auseinandersetzungen mit der „Vaterfigur“ Duchamp. Allein aus dem Titel spricht Beuys‘ ambivalentes Verhältnis zum Meister der inszenierten Skepsis und ironischen Distanz, der sich nicht öffentlich oder gar politisch äußerte – während Beuys die gesellschaftsverändernde Kraft der Kunst beschwor. Gerade aus dieser zwischen Kritik und Faszination angelegten Haltung von Beuys

gegenüber Duchamp bezieht die Ausstellung ihre Spannung. Dabei legt sie den Fokus nicht nur auf die offensichtlichen Gegensätze im Werk der Künstler, sondern will auch die subtilen Berührungspunkte hinsichtlich ihrer Motive und künstlerischen Strategien aufzeigen.

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„Das Projekt knüpft an die Geschichte der Kunstmuseen Krefeld unter aktueller Perspektive und auf Basis neuester Forschung an“, betont Baudin. „Beide Künstler sind mit unserer Institution eng verbunden. Die herausragende Werkgruppe von Beuys im Kaiser-Wilhelm-Museum ist eines der wenigen Raumensembles, das so erhalten ist, wie der Künstler es zu Lebzeiten eingerichtet hat. Und die erste Einzelausstellung Marcel Duchamps in einem deutschen Museum fand 1965 in Haus Lange statt. Die Kunstmuseen Krefeld können somit als einer der Orte gelten, die zu Duchamps Entdeckung in den 1960er Jahren in Deutschland beigetragen haben.“

Passend zu den permanent installierten Beuys-Räumen im zweiten Geschoss des Kaiser-Wilhelm-Museums, entfaltet die Ausstellung mit rund 150 internationalen Leihgaben den Kosmos dieser beiden wegweisenden Künstler für sich und in ihrem spannungsreichen Verhältnis zueinander. „Ihre Werke tragen ein radikales Potenzial zur Veränderung in sich – zur Veränderung der Auffassung von Kunst überhaupt, der Wahrnehmung von Alltag und Umwelt, der Rolle der Betrachtenden – und schließlich mit Beuys auch zur Veränderung von Mensch und Gesellschaft“, so Kuratorin Magdalena Holzhey. Genau diese Veränderung brauchte es, denn als Duchamp 1917 ein umgedrehtes Urinal, genannt Fountain, für die Jahresausstellung der New Yorker Society of Independent Artists anbot, wurde dies von der Jury mit der Begründung abgelehnt, es sei keine Kunst. Heute würden sich die Museen der Welt um genau dieses Objekt reißen, doch es landete später auf dem Müll. Erst Jahrzehnte später bekannte sich Duchamp zu dem Werk, das er mit

„R. Mutt 1917“ unterschrieben hatte, und kreierte anhand einer Fotografie Repliken. Es dürfte das bekannteste der „Readymades“ von Duchamps sein.

Einige weitere sind nun im KWM zu sehen: eine Schneeschaufel, eine Fahrradgabel auf einem Hocker, ein Flaschentrockner oder eine Garderobe. Die vielfach gestellte Frage „Ist das Kunst oder kann das weg“ dürfte selten passender gewesen sein als bei Duchamp. Doch sie wäre ganz nach seinem Geschmack gewesen. „In 50 Jahren wird sich herausstellen, welche Bilder von Bestand sind und in den Museen bleiben. Zumindest hoffen wir das. Wir können nicht erkennen, was Ästhetik und was Zeitgeist ist, weil wir ja mitten in unserer Zeit stecken. Das ist ein Problem der Nachwelt, und wir werden nicht mehr da sein, um das Resultat zu sehen“, so Duchamp. Beuys wiederum konnte das Resultat bereits sehen und bezog sich in vielen Bereichen auf den leidenschaftlichen Schachspieler, der auch mal eine Partie vertonte, Staub in seine Werke mit aufnahm, um Bewegung zu symbolisieren, oder Fadenstücke zu Boden fallen ließ und diese dann auf Leinwand klebte. Mehr noch: Er eiferte ihm nach. Duellierte sich Duchamp am Schachbrett, tat es ihm Beuys in einem Boxkampf gleich. Lobte der Franzose 2.000 Dollar Kopfgeld auf sich selber aus, waren es bei Beuys 5.000 Dollar für den Bankräuber John Dillinger. Gerade diese Gegenüberstellungen machen die Ausstellung zu einem spannenden Moment in der Geschichte der Krefelder Kunstmuseen.

Begleitet wird die Ausstellung von einem vielfältigen Programm, gefördert von der Art Mentor Foundation Lucerne, das auf unterschiedlichsten Ebenen Zugang zu den Werken eröffnet. Interessant dabei ist das Programm auch für jüngere Besucher. Neben dem schon bekannten BeuysLabor, in dem sie sich versuchen können, gibt es einen Experimentalkoffer für Kinder, der, ebenso wie ein Audioguide, ausgeliehen werden kann.

Die Ausstellung wird kuratiert von Magdalena Holzhey (Kunstmuseen Krefeld) und Kornelia Röder (Duchamp-Forschungszentrum Schwerin) in Zusammenarbeit mit Katharina Neuburger und mit wissenschaftlicher Beratung durch Antje von Graevenitz, Hans Dickel und Paul B. Franklin. Das Projekt ist Teil des Jubiläumsjahres „beuys 2021“ in Nordrhein-Westfalen. Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher Katalog in deutscher und englischer Ausgabe im Hatje Cantz Verlag, Berlin, ermöglicht durch die großzügige Förderung der Ernst von Siemens Kunststiftung. Weitere Informationen stehen unter www.kunstmuseenkrefeld.de. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren haben kostenfreien Eintritt in die Krefelder Museen. Die Ausstellung „Beuys & Duchamp. Künstler der Zukunft“ endet am 16. Januar 2022.

Der Künstler Joseph Beuys wurde am 12. Mai 1921 in Krefeld geboren. Seine Eltern wohnten mit ihm am Alexanderplatz 5. Knapp vier Monate nach der Geburt verlässt die Familie Krefeld und zog nach Kleve. Seit Beginn seiner künstlerischen Entwicklung gab es eine Verbindung zwischen Beuys und dem Kaiser-Wilhelm-Museum in Krefeld sowie dem dort lebenden Schriftsteller Adam Rainer Lynen. Als junger Mann lebte Beuys zeitweise mit Lynen in einer Hütte an den Niepkuhlen in Krefeld. Dort fand 1948 eine Ausstellung mit dem Dichter statt und im selben Jahr wurden im Kaiser-Wilhelm-Museum seine Arbeiten „Leuchtturm“, „Roter Berg“ und „Liegendes Schaf“ gezeigt. Die Stadt Krefeld kaufte Anfang der 1950er-Jahre den „Brunnen“ an, bis zum letzten Ankauf 1976 gelangten mit Hilfe des Künstlers 53 weitere Arbeiten nach Krefeld, darunter mehrere große Plastiken.