1. Krefeld

Tücken der Selbstbespiegelung

Tücken der Selbstbespiegelung

In dem Schauspiel ohne Text „Das Ballhaus“ überzeugt das Ensemble, aber nicht das Konzept.

Das Theater ist der Ort der Extreme. In den Stücken von Thomas Bernhard redete immer nur einer und alle anderen mussten passiv zuhören. Im Stück “Das Ballhaus” von Steffen Mensching redet niemand und alle sind aktiv auf der Bühne; tanzend, lesend, rauchend, Musik hörend, streitend.

Die Idee dahinter: In der Freizeitgesellschaft des Ballhauses soll sich die deutsche Geschichte spiegeln; vom Ausgang des Ersten Weltkrieges bis in die Gegenwart des Handy-Wahns. Da wird in den Goldenen 20ern der Foxtrott getanzt, bald stürmt der erste Nazi in brauner Uniform herein, im Krieg wird das Ballhaus zum Lazarett, schließlich veranstalten Hippies ihre Demos und in den 70ern werden unter den Gästen Terroristen entdeckt.

Das Konzept leidet unter zwei Schwachstellen. Zum einen lädt die rein pantomimische Darstellung ohne Sprache zum Klischee ein. Da tanzt der SA-Mann so hölzern wie eine Marionette, damit auch jeder weiß, wie dumm Nazis sind. Da bietet der siegreiche US-Soldat dem Verwundeten gleich einen Stuhl an, damit auch jeder weiß, wie nett Amerikaner sind. Und so weiter.

Zum anderen überzeugt die Metapher des Ballhauses nur so lange, wie es Tanzsäle kulturgeschichtlich überhaupt gab. In der zweiten Hälfte des Stücks verläuft sich die ursprünglich sehr anschauliche Szenerie des Tanzsaales in eine Nummernrevue politischer Anspielungen, ohne dass sie glaubhaft verortet werden könnten. Schon das Kriegsende im Tanzsaal spielen zu lassen, verlangt eine große Portion wohlwollender Fantasie. Erst im Techno-Schuppen neuster Zeit fängt sich das Konzept wieder.

Der Reiz dieser Aufführung steckt in der überschäumenden Detailversessenheit des Ensembles. Unter der Regie von Frank Matthus geben die Schauspieler jeder einzelnen Figur der Tanzgesellschaft profilierte Kontur. Das beginnt schon beim Hereinkommen in den Tanzsaal. Wenn sich die Damen noch schnell vor dem Spiegel “zurechtmachen”, markieren sie mit wenigen Handgriffen und gezielter Mimik einen ganzen Charakter mit Vita: die Grand Dame, das Mauerblümchen, die Sitzengebliebene. Desgleichen gilt für die Herren: der schmierige Galan, der lebensfrohe Aufreißer, der nervös Suchende. So entsteht ein Wimmelbild der Figuren und ihrer Geschichten. Es ist so farbig und anschaulich, dass der Zuschauer in jeder Ecke der Bühne eine menschliche Begebenheit entdeckt. Und jeder der Darsteller bleibt konzentriert in seiner Rolle mit ihren jeweiligen Macken, unbeirrt von dem Gewimmel um ihn herum. Das ist höchste Professionalität, die sich für den Zuschauer auszahlt: der Abend ist spannend, unterhaltsam und vergnüglich. Man möchte ihn gern ein zweites Mal erleben, um noch mehr Details zu erkennen und zu memorieren.

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Zum Gelingen der Aufführung trägt auch die schöne, naturalistische Kulisse von Johanna Maria Burkhart bei, ebenso die feinen Kostüme von Yvonne Forster. Und dann ist es ein Genuss, noch einmal die alten Schlager von einer Life-Combo unter Jochen Kilian zu hören, die dann zunehmend durch das Aussterben der Tanzsäle von Elektromusik abgelöst werden muss, womit wir wieder bei der Problematik des Zeit-Konzeptes wären.

Der Schlussapplaus des begeisterten Premierenpublikums war so stark, dass sich das Ensemble zu einer schwungvollen Zugabe hinreißen ließ. So macht Theater Spaß.

(City Anzeigenblatt Krefeld II)