1. Krefeld

Eine „Expertin in eigener Sache“ berichtet: Wie behindertengerecht ist Krefeld?

Eine „Expertin in eigener Sache“ berichtet : Wie behindertengerecht ist Krefeld?

Sabine W. (39) sitzt im Elektrorollstuhl und lebt seit 2009 selbstbestimmt mit einem Team aus sechs Assistentinnen, die sich abwechseln, in ihrer eigenen, barrierefreien Wohnung. Sie arbeitet selbstständig als ehrenamtliche Lotsin für behinderte Menschen in Krefeld — die Arbeit befindet sich noch im Aufbau.

Sie liefert einen interessanten Erfahrungsbericht über ihren Alltag, die Barrierefreiheit und ihre Mobilität in Krefeld.


So kommt Sabine W. beispielsweise durch ihren Elektrorollstuhl mit Kinnsteuerung - ihre Arme sind an dem Rollstuhl fixiert, da ihr Gehirn unkontrollierte Muskelbewegungen ausführen will - , problemlos zur Bank oder zur Post, die mit einem Aufzug ausgestattet ist. Ebenso kommt sie mit ihrem E-Rollstuhl zur Bahn. Eine Assistentin fährt ihr bei der Bewältigung aller Strecken meist mit dem Fahrrad hinterher.
Auf den Bahnhöfen selbst hat Sabine W. schon so einiges erlebt: So erzählt Sie, dass sie von Essen nach Krefeld fahren wollte, aber sie der Bahnbeamte des Zuges am Gleis stehen ließ, da das Rollstuhl-Abteil bereits mit Fußgängern überfüllt war. Sabine W. entschloss sich, einen Umweg über Duisburg zu machen. Jedoch kam Sie von dort aus ebenfalls nicht nach Krefeld — das Zugabteil war wieder überfüllt.
Sabine W. relativiert diese Erfahrungen aber: Wäre in dem Rollstuhl—Abteil einer Bahn noch Platz, würden die Bahnbeamten die Fahrgäste auch darauf hinweisen, Platz zu machen. Zudem wären in Krefeld mittlerweile Aufzüge vorhanden, um ans Gleis und vom Gleis wegzukommen. Die steile Rampe neben dem "Cinemaxx" braucht sie daher nicht zu benutzen.
Auch der Öffentliche Personen Nahverkehr in Form der SWK bekommt von Sabine W. ein gemischtes Urteil ausgestellt. Zwar seien einige Bahnen in Krefeld Rollstuhlgerecht umgebaut worden — Stichwort "Niederflur-Bahnen" — aber sie kann nicht von ihrer Wohnungsnahen Haltestelle aus eine Bahn nehmen, sondern muss erst zur nächsten Haltestelle kommen — im Haltestellenumbau, wie er z.B. derzeit an der Rheinstraße läuft, sieht Sabine W. an anderen Stellen in Krefeld noch Nachholbedarf.
Sabine W. kritisiert zudem die Abschaffung der Behindertenfahrdienste vom Deutschen Roten Kreuz oder den Maltesern als Sparmaßnahme zugunsten des Nothaushaltes in Krefeld. Gerade körperlich eingeschränkte Menschen würden dadurch benachteiligt, die in Heimen leben müssten. Der Fahrdienst war die einzige Möglichkeit, ihr gewohntes Umfeld für kurze Zeit verlassen zu können.
Ein großer Pluspunkt für die Barrierefreiheit in Krefeld sei dagegen, dass alle Bordsteine in der Innenstadt abgesenkt seien. Wenn Sabine W. auf der Straße fahren müsse, würden Autofahrer besonders vorsichtig agieren, teilweise sogar auf ihre Vorfahrt verzichten.
Ähnlich hilfsbereit würden sich die Krefelder gern beim Einkaufen zeigen, so Sabine W. Dies lehnt sie jedoch stets freundlich ab, da genau für so eine Alltagssituation eine Assistentin an ihrer Seite ist, die sich selbst als "Ersatz für Sabines Arme und Beine" bezeichnet.
Einige Behindertenwohnheime und -werkstätten würden hingegen den Wünschen der Bewohner bzw. Beschäftigten nicht nachkommen, wenn diese die Einrichtungen dauerhaft verlassen wollen. Dabei stünde den Behinderten zum Beispiel laut Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention ein Recht auf selbstbestimmtes Leben mit freiem Wohn- und Wahlrecht zu, das heißt sie dürfen selbst entscheiden, wo und mit wem sie leben wollen — z.B. mit einer persönlichen Assistenz wie es Sabine W. macht. Dieses freie Wahlrecht gelte ebenso für die Arbeitsstätte erzählt mir Sabine W.
In ihrer Freizeit, so berichtet Sabine W., besuche sie gerne Spiele der Krefeld Pinguine. Für die Begleiter der Rollstuhlfahrer wünscht sie sich, dass diese, wie bereits vor einigen Jahren praktiziert, wieder neben dem Rollstuhlfahrer sitzen.
"Hinter den Rollstuhlfahrern könne man als Begleitung wenig bis gar nichts sehen", ergänzt ihre Assistentin. Außerdem wünscht sich Sabine W. mehr Rollstuhlplätze im König Palast, um Bekannten im Rollstuhl ebenfalls einen Besuch zu ermöglichen und verfasste in ihrer Funktion als Behindertenlotsin für Krefeld gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus umliegenden Städten bereits einen Brief an den Geschäftsführer der Pinguine, der sich auch schon gemeinsam mit den Verantwortlichen des König Palast um eine Lösung bemüht.