1. Niederrhein

Interview mit „Britney-Lolita“ Joanne Gläsel​

Interview mit „Britney-Lolita“ Joanne Gläsel : „Jede Frau weiß, was Missbrauch ist“

Die für die nächsten Tage geplanten Vorstellungen von „#vergissmeinnicht“ können krankheitsbedingt nicht stattfinden, dafür zeigt das Schlosstheater „Lolita - ein Drehbuch“. Thomas Warnecke hat Schauspielerin Joanne Gläsel zum Stück und ihrer Rolle darin interviewt.

Das kam überraschend: Jetzt ist „Lolita – ein Drehbuch“ wieder auf dem Spielplan. Wie gut hatten Sie den Text und die ja nicht ganz unerhebliche „Choreographie“ noch drauf?

Wiederaufnahmen sind das tägliche Brot des Schauspielers. Wenn eine Vorstellung länger „gelegen“ hat, muss ich mir natürlich den Text ansehen, mir die Verabredungen wieder klarmachen, gemeinsam proben, also daran arbeiten. Aber meistens ist alles gut im Körpergedächtnis gespeichert. Wenn ich also im Kostüm, auf der Bühne, in der Spielsituation bin, kommen ganz automatisch Texte und Handlungen wieder ins Bewusstsein.

Lolita ist in der Schlosstheaterinszenierung ja auf drei Stereo- bzw. Archetypen verteilt; Sie verkörpern die Britney-Lolita. Das hieß wahrscheinlich Videos schauen und eine Menge Gossip durchwühlen – haben Sie da viel Brauchbares gefunden? War Britney Spears ein guter Schlüssel, um Lolita zu verstehen?

Ich habe tatsächlich einige Youtube-Videos geguckt. Britney Spears kannte ich nur aus den Schlagzeilen, ihre Musik hat mich damals gar nicht interessiert. Und ich muss sagen, ich war positiv überrascht von ihrer Stimme, ihrer Kraft, ihrer positiven Ausstrahlung in jungen Jahren, ihrem Humor. Dann ihr Absturz, ihre große Einsamkeit, ihr Steh-Auf-Männchen-Mut, ihre eher Mitleid erregenden aktuellen Instagram-Stories... natürlich spiele ich nicht eins zu eins Britney Spears, sondern im Sinne der Inszenierung habe ich versucht, Facetten, Bruchstücke davon in meine Rolle einzubauen.

Sie haben viele große, klassische Frauenrollen gespielt (Nora, Medea, Elisabeth I. ), die ja oft genug „Opferrollen“ sind (was am Schlosstheater vor einigen Jahren „Die Mutter aller Fragen“ war ...). Der Erzähler in Nabokovs Roman macht sich zum Opfer der jungen Verführerin, aber die Schlosstheater-Lolita will ja auch zeigen: Lolita ist das Opfer, die Verführte, die Missbrauchte. Wie nah kann man einem Missbrauchsopfer kommen – und wie sehr möchte man es vielleicht auch vermeiden, „Opfer“ zu sein?

Ich glaube, jede Frau weiß, was Missbrauch oder zumindest ein Übergriff ist, ob sie ihn erlebt hat oder nicht. Das sitzt in unseren Zellen. Es ist nicht nur Spaß, sich sechs Wochen sechs bis acht Stunden am Tag mit dem Thema Missbrauch zu beschäftigen. Es kriecht unter die Haut, ob man es will oder nicht. Ich bin dankbar, dass dieses Thema heute in der Gesellschaft benannt, diskutiert und als strukturelles Problem erkannt wird. Es ist kein persönliches Problem, mit dem jede Frau für sich alleine klarkommen muss.

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Lolita ist am Beginn der Handlung zwölf Jahre alt. Haben Sie Erinnerungen an sich als Zwölfjährige? Wollten Sie damals schon Schauspielerin werden? Wie viel Lolita steckt vielleicht auch in Ihrem Beruf, der ja nicht wenig damit zu tun hat, sich preiszugeben, zum Objekt des Interesses und eben auch der Begierde zu werden – und werden zu wollen?

Also in der Tat habe ich mit zwölf Jahren zum ersten Mal in der Schule mit sehr viel Freude eine größere Rolle gespielt, auf die ich positive Reaktionen bekommen habe. Das war damals ein großes Aha-Erlebnis, wie eine Handlungserweiterung. Von dem Zeitpunkt an wollte ich Schauspielerin werden und hatte Glück, irgendwann an einer Schauspielschule angenommen zu werden. Natürlich möchte ich mit meinem Spiel Interesse wecken oder auch Faszination und freue mich, wenn es gelingt. Aber immer im Rahmen einer Rolle und innerhalb der Intention einer Inszenierung, aufgrund meiner Fähigkeiten, meines Könnens. Ich stehe nicht als Privatperson auf der Bühne und für mich ist sie auch kein Ort der Selbstdarstellung.

Zum Schluss: Warum sollten alle, die „Lolita“ am Schlosstheater noch nicht gesehen haben, die Gelegenheit dazu jetzt nutzen?

Weil es eine feine gelungene Inszenierung ist, auch mit einem tollen visuellen Konzept. Ich liebe Kostüme, Ausstattung und Bühnenbild! Wie sich Lolita ihr Leben zurückerobert, wie sie sich selbst ermächtigt und sich ihre unterdrückte Wut Bahn bricht – im wahrsten Sinne des Wortes - ist trotz des schwierigen Themas unterhaltsam und sehenswert.

„Lolita - ein Drehbuch“ von Vladimir Nabokov, 15.10. um 18 Uhr, 21.10. um 19.30 Uhr und am 22.10. um 18 im Schlosstheater Moers

www.schlosstheater-moers.de