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Anne und Nikolaus Schneider im Interview: „Fragen bleiben offen“

Anne und Nikolaus Schneider im Interview : „Fragen bleiben offen“

Den ehemaligen Moerser Superintendenten, Präses der rheinischen Landeskirche und Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche Deutschlands muss man am Niederrhein nicht mehr vorstellen. Zusammen mit seiner Frau Anne wird Nikolaus Schneider am kommenden Sonntag im Schlosstheater Moers über den Tod sprechen. Thomas Warnecke hat das mit ihnen vorab getan. Das Interview wurde schriftlich geführt, das erklärt die gemeinsamen Antworten.

Das könnte Ihnen am 11. Juni in Moers ja auch passieren: Wenn ein Niederrheiner von einer langen Reise zurückkehrt, ist nach Hanns Dieter Hüsch die erste Frage seiner Frau nicht, wie die Fahrt gewesen sei, sondern: „Weißte, wer gestorben ist?“ Hat der Niederrhein ein besonderes Verhältnis zum Tod?

Nikolaus: Bei Hüsch war das so. Von mir kann ich nur sagen: Mit den Fragen des Woher? und Wohin? des menschlichen Lebens habe ich mich als Theologe in niederrheinischen Gemeinden kontinuierlich auseinandergesetzt. Aber ohne auf den Tod und auf Abschiede von Verstorbenen fixiert zu sein.

Sie sind der Sohn eines Hochofenarbeiters. Noch vor nicht allzu langer Zeit ist es bei Thyssenkrupp wieder zu einem - bisher nicht aufgeklärten - Tod eines Leiharbeiters gekommen. War der Tod damals in Duisburg ein ständiger Begleiter?

Nikolaus: Es wäre übertrieben zu sagen, dass der Tod ein ständiger Begleiter war. Bewusst war mir aber schon, dass die Arbeit an gewaltigen Aggregaten, unter großer Hitze und mit dem Wirken großer Kräfte sowie der unvermeidlichen menschlichen Fehlbarkeit sehr gefährlich war. Unfälle passierten häufiger, selten mit Todesfolge. Auch mein Vater hatte einen schweren Arbeitsunfall am Hochofen.

Sie und Ihre Frau haben das vermutlich Schlimmste erlebt, was Eltern erleben können: den Tod des eigenen Kindes. Wie haben Sie es geschafft, nicht zu verzweifeln, nicht den Glauben zu verlieren?

Anne und Nikolaus: Zwei Jahre lang haben wir unsere an Leukämie erkrankte Tochter begleitet. Beim Sterben unserer Tochter haben wir geweint und gezweifelt. Aber wir sind nicht verzweifelt. Manche Gottesbilder sind uns zerbrochen, doch wir fühlten uns in der Liebe und Nähe von Menschen gehalten und haben darin auch eine indirekte Nähe Gottes gespürt. Rätselhaft und fremd ist uns Gottes Weg mit Meike aber geblieben. Fragen bleiben offen. Wir haben gelernt, damit zu leben.

In „#vergissmeinnicht“ bekommt das Ewige Leben Konkurrenz: Die sterbenskranke Mutter wird durch einen Roboter ersetzt, der gelernt hat, wie sie zu antworten etc. Technisch sind wir nicht mehr allzu weit davon entfernt. Hat das Jenseits damit ausgedient?

Anne und Nikolaus: Dass ein Roboter zu nachhaltiger menschlicher Beziehung nicht fähig ist, wird in diesem Theaterstück aber auch klar. Wir verstehen das jenseitige Leben zudem nicht als eine endlose Verlängerung und technische Perfektionierung des irdischen Lebens, sondern in der Beziehung mit Gott und Mitmenschen in einer grundsätzlich anderen Qualität. Transzendenz erscheint uns deshalb als eine unverzichtbare Dimension für die Grundlegung und Orientierung menschlicher Existenz zu bleiben.

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Ist es umgekehrt möglich, einen Roboter, Künstliche Intelligenz zu lieben?

Anne und Nikolaus: Der Versuch dazu wird im Stück durchgespielt und scheitert. Alles, was Liebe jenseits des Funktionierens biochemischer Prozesse ausmacht -  also etwa Spannung, Atmosphäre, Glück, Beschwingheit, „Schmetterlinge im Bauch“ – scheint mir zwischen Roboter und Mensch als „digitaler fake“ möglich, aber nicht als personale Beziehung. Zur Liebe gehört für uns auch: Das gemeinsame Tragen von leidvollen Erfahrungen; gemeinsames Hoffen und Beten; gemeinsames Fragen und Suchen nach kronkretem Tun des Gerechten. All das scheint uns zwischen Robotern und Menschen nicht möglich zu sein.

Der Tod sei „auch ersehnt und wertgeschätzt“, heißt es in der Überschrift Ihrer Veranstaltung. Tatsächlich wollen immer mehr Menschen über den eigenen Tod selbst bestimmen. Warum sollte man ihnen das verbieten?

Anne und Nikolaus: Menschen sollen grundsätzlich über ihr Leben möglichst selbstbestimmt entscheiden, auch über ihr Sterben. Die politische Frage ist: Was sind Staat und Gesellschaft verpflichtet zu tun, wenn Menschen (ärztliche) Hilfe für einen Suizid in Anspruch nehmen wollen. Und die theologische Frage ist: Kann und darf ein Mensch in Verantwortung vor Gott sein Leben verkürzen und beenden? Über die theologisch-ethische Bewertung von Selbsttötung diskutieren und streiten wir beide seit Jahren.

Paulus hat ja im ersten Korintherbrief ziemlich deutlich gemacht, dass ohne die leibliche Auferstehung alles nichts ist. Haben Sie eine konkrete Vorstellung vom Leben nach dem Tod?

Anne und Nikolaus: Unsere Vorstellungen sind inspiriert von den Bildern der Bibel. Und auch von Poetinnen und Poeten. Für uns gilt: Von einem jenseitigen Leben in Kontinuität zu unserer diesseitigen Identität sind wir überzeugt. Und wir sind einfach gespannt darauf, wie es sein wird.

Anlässlich der Wiederaufnahme von „#vergissmeinnicht“ im Schlosstheater Moers am 9. und 10. Juni sprechen Anne und Nikolaus Schneider am Sonntag, 11. Juni, um 18 Uhr im Studio, Kastell 6, über den „Tod - gefürchtet, gehasst und verteufelt. Aber auch ersehnt und wertgeschätzt“.