1. Moers Niederrhein

Programm für Pfingsten vorgestellt: Das Moers-Festival steht - hoch

Programm für Pfingsten vorgestellt : Das Moers-Festival steht - hoch

Hochkant stellten Geschäftsführerin Jeanne-Marie Varain, der künstlerische Leiter Tim Isfort und Henne Burkhard das Programm des diesjährigen Moers-Festivals vor. Bürgermeister Christoph Fleischhauer, Mark Rosendahl von Moers Kultur und Kulturdezernent Wolfgang Thoenes spielten in Schräglage fröhlich mit.

An der Nackenstarre werden Varain und Isfort sicher noch eine Weile Freude gehabt haben; immerhin gab’s nach dem Pausengong, als eine Schulklasse des Gymnasiums in den Filder Benden ihre Sporthalle wieder in Besitz nahm, Gelegenheit zum Ausgleichssport; Isfort, auf dem Fußballplatz ein nur schwer zu stoppender Stürmer, und Varain liefen ein paar lockere Runden mit. „Die Frage ‘Is this noch a Jazz Festival?‘ behandeln wir in der nächsten Stunde.“

„In einer Zeit, in der die Welt kopfsteht, können wir da aufrecht, aufrichtig bleiben?“, hatte Isfort fragend angefangen. Auf allem laste eine große Schwere, dem wolle das Moers-Festival, und dafür steht wohl auch das Hochkant-Setting der Pressekonferenz, einen „leichten Sinn“ entgegensetzen. Frei nach Mike Krügers Hans-Hartz-Persiflage sind die weißen Tauben hier Hühner: Tim Isfort zaubert Henne Burkhard (nach dem Festivalgründer und langjährigen Leiter Burkhard Hennen) hervor, die etwas fallen lässt und damit auf die noch nicht vollständig außer Kraft gesetzte Schwerkraft hinweist und ansonsten zur Sonne, zur Freiheit blickt.

Das Moers-Festival feiert in diesem Jahr 50. Geburtstag. In Präsenz: Zu Pfingsten sollen wieder Festivalhalle und, mal im Wechsel, mal gleichzeitig, die Open-Air-Bühne (“AmViehtheater“) am Rodelberg bespielt werden. Nach 48 analogen und zwei äußerst erfolgreichen digitalen Ausgaben - immerhin schaffte es die erste digitale Ausgabe 2020 erstmals in die Tagesschau, und war sonst die Welt zu Gast in Moers, war Moers 2020 und 2021 via Stream zu Gast in aller Welt - will das 51. Moers-Festival vom 3. bis 6. Juni 2022 weiter zu analog-digitalen Hybridformen experimentieren, etwa mit Maschinen- und Computerklängen und von Robotern gespielter Musik.

Im Digitalen geht‘s heute um (möglichst viele) Klicks, beim Moers-Festival geht es darum schon immer: um diese nicht vorherzusehenden Momente, die aus nichts ahnenden oder wenig erwartenden Erstbesuchern zum Teil über Jahrzehnte treue Moers-Besucher gemacht haben und weiter machen sollen. Weshalb die regulären Festivaltickets etwas teurer werden und damit solidarisch viele ermäßigte Tickets möglich machen und für Besucher unter 18 Jahren sogar freien Eintritt. Moers, das Moers-Festival, ist das, was klick macht.

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Hybridformen und Länderschwerpunkte

Via Stream zu Gast in aller Welt soll das Moers-Festival auch in diesem Jahr sein, aber zu Pfingsten soll auch wieder Welt in Moers sein. Jetzt schon in Moers ist die diesjährige Improviserin in Residence, die Cellistin Tomeka Reid aus Chicago. Beim Festival ist sie mit ihrem Quartett dabei, das als „saitenzentrierter elektroakustischer Hybrid“ Tomeka Reids Spiel und eigene Kompositionen in den Vordergrund rückt. Als Kontrastprogramm tritt Tomeka Reid außerdem im Trio Artifact mit Nicole Mitchell (fl) und Mike Reed (dr) vom AACM (Chicago‘s Association for the Advancement of Creative Musicians) auf; dieses Trio ist dem Groove verpflichtet und wechselt zwischen festen eigenen Kompositionen und freier Improvisation. 2017-Improviser John Dennis Renken kommt wieder als Teil der siebenköpfigen Formation The Hidden Tune mit Musikern aus Deutschland und Myanmar. Aus Japan kommt der Elektro-Geiger Sana Nagano mit seinen Smashing Humans, aus Norwegen zugesagt hat das Christian Wallumrod Ensemble. Die Horse Lords aus den USA kommen mit ihrer Show und „Stay On It“ von Julius Eastman. Acht Musiker aus sieben Nationen vereint Spinifex Sings. Reichlich Instrumentarium und Elektronik fährt das amerikanisch-britische Quintett Flock auf, allein Leaderin Bex Burch bedient acht Instrumente vom Vibraphon bis zur „snake drum“. Mit dem Kollektiv Recursion wird der Fachbereich FB 08 für nicht-anthropogene Musik eingerichtet, als Annex gibt’s eine von Künstlern annektierte, freie Bühne. Das Beste aus „analog vs. hybrid“ macht „at the same time”: ein Musiker in der Festivalhalle, einer am Rodelberg, miteinander nur über ein In-ear verbunden; das Publikum vor Ort sieht nur eine Häfte des Konzerts oder blickt via Smartphone ins virtuelle Moersland ...

Länderschwerpunkte blicken mit „Road to Pyawbwe“ auf Myanmar, mit Addis Vibrances nach Äthiopien, nach Italien mit gleich mehreren Formationen um Francesco Diodati, der von den Lesern des Magazins „JazzIt“ dreimal hintereinander zum besten Gitarristen gewählt wurde, und nach Israel mit Perpetuum Disco und dem Meitar Ensemble, das zusammen mit einem Jugendchor Maya Dunietz‘ arabischsprachige Komposition „Hai Shirim“ aufführt.

Und für die Musiker, die aus welchen Gründen auch immer nicht nach Moers kommen können, wird der Virtual-Reality-Auftritt „Moersland“ zur gleichberechtigten Spielstätte. Der Besuch des Internetauftritts lohnt sich ohnehin und jetzt schon: Bekannte Künstler aus fünf Jahrzehnten Moers-Festival schicken kurze Videos als Geburtstagsgrüße, jede Woche kommt ein neues hinzu.

„This is not a Jazz Festival“ - der Zukunft der Kunst, der Kultur, des Sozialen, der Bildung, der Öffentlichkeit und des Zusammenseins, aller Dinge eben, die sich nicht rein ökonomisch beziffern lassen, gilt der Kampf des Moers-Festivals, das darüber zu einem der reflektiertesten Festivals weit und breit geworden ist. Aber keine Sorge: Das Moers-Festival wird sich auch 2022 der Schwere widersetzen.