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Ruhrort war tatsächlich mal DIE Kneipenstadt

Ruhrort war tatsächlich mal DIE Kneipenstadt

Es ist die am häufigsten erzählte Legende, wenn man den Hafenstadtteil Ruhrort besucht: Wie viele Kneipen es hier früher gab. Mehr als heute, das ist klar und gilt dank Nichtrauchergesetz und anderer lustfeindlicher Entwicklungen wohl überall in NRW.

Aber wie viele Kneipen waren es tatsächlich in Ruhrort? Da reichen die "Erinnerungen" von 60 bis 500 ...

Wir haben mal nachgefragt bei Dr. Andreas Pilger. Er hält am kommenden Dienstag im Rahmen der 37. Duisburger Akzente einen Vortrag über die Geschichte der Ruhrorter Kneipen und sitzt an der Quelle. Nicht in der 1978 geschlossenen gleichnamigen Kneipe — er ist Leiter des Stadtarchivs und muss es also wissen.

Tatsächlich: "An statistischen Aufstellungen zu den Kneipen in Ruhrort herrscht kein Mangel", erklärt Dr. Pilger. Nach einer Zählung, die die Stadt Ruhrort im Auftrag des preußischen Innenministeriums durchführte, gab es 1893 in Ruhrort bei 11.099 Einwohnern 25 Gastwirtschaften, also Lokale mit Übernachtungsmöglichkeit, 43 Schankwirtschaften, davon 36 mit und sieben ohne Branntweinausschank, sowie 22 Branntwein-Kleinhandlungen, sprich Trinkhallen. Macht 90 Kneipen im weitesten Sinne. Nach einer Statistik aus dem Jahre 1885 besaß Ruhrort mit 115 Einwohnern pro Kneipe mit die höchste Kneipendichte im rheinisch-westfälischen Industrierevier. Zum Vergleich: In Düsseldorf kamen 239 Einwohner auf eine Kneipe, in Essen 287, in Köln 163, in Duisburg, das damals bekanntlich noch nicht zu Ruhrort gehörte, 173. Früher war alles besser...

So preußisch-gründlich damals gezählt wurde, so sehr sind die Zahlen mit Vorsicht zu behandeln. Es war nämlich möglicherweise noch besser. Dr. Pilger: "Ruhrort hat oft versucht, die Zahl der Kneipen 'kleinzurechnen', weil der Druck des preußischen Innenministeriums auf eine Reduzierung der Schankstellen relativ groß war. Dabei ging es im Kern natürlich immer um die Lokale, die alkoholische Getränke ausschenken. Nimmt man noch die 'Verkaufsstellen für Selterswasser, Schokolade-, Milch- und Kafeeausschanksstellen' hinzu, so summierte sich die Zahl der gastronomischen Betriebe auf fast 180 im Jahr 1906, die übrigens auch alle in den Akten namentlich benannt sind."

Im mittleren und späteren 20. Jahrhundert wurde dann nicht mehr so gründlich gezählt, jedenfalls liegen im Stadtarchiv keine Zahlen für die "goldenen" 1960er Jahre vor, als Ruhrort und insbesondere "Tante Olga" das Mekka für Livemusik war. Dr. Pilger: "Immerhin kann ich Ihnen sagen, dass es 1970 noch 80 Gaststätten in Ruhrort gab, 1983 nur noch 47." Und 1985 schon eine weniger. Heute bekommt der Redakteur beim groben Überschlag und mit Trinkhallen, Dönerbuden und Pizzamännern keine 30 Läden mehr zusammen. Die Schifferbörse kann man ja auch nicht mehr mitzählen ...

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Update 1: Einen ausführlichen Bericht vom Vortrag finden Sie hier.

Update 2: Wegen des großen Andrangs wird der Vortrag "Geschichte der Ruhrorter Hafenkneipen" von Dr. Andreas Pilger wiederholt: am Montag, 14. März, um 19.30 Uhr im Café Kaldi, König-Friedrich-Wilhelm-Straße 18 in Ruhrort. Der Eintritt ist frei, Reservierungen sind nicht möglich, deshalb wird frühzeitiges Erscheinen empfohlen.

(Niederrhein Verlag GmbH)