Trachten im Textilmuseum : Mysteriöser Museums-Krimi

Prächtige Trachten werden ab Sonntag 11 Uhr im Textilmuseum ausgestellt. Die Geschichte ihrer rätselhaften Herkunft gleicht einem Historien-Krimi.

Die Geschichte beginnt mitten im Krieg. 1943 kauft die Krefelder Gewebesammlung für damals sagenhafte 120.000 Reichsmark ein Konvolut aus rund 1000 Trachtenkleider und Schmuckstücken an. Bis heute weiß niemand, zu welchem Zweck und von wessen Geld. Ebenso mysteriös: der Verkäufer. Ein verarmter Maler namens Paul Prött.


Von heute an sind rund 200 der Trachten und Schmuckstücke im Deutschen Textilmuseum in Linn ausgestellt: Wunderschöne Joppen, Jacken, Hosen, Kleider; fantasievoll geschnitten, liebevoll bestickt in kräftigen Farben; aus mehreren Jahrhunderten und verschiedenen Ländern Europas.


Der Rest der großen Sammlung wird in Bildern an die Wand projiziert. Damit können die Besucher sämtliche Stücke sehen, die alle auch im dicken Begleitkatalog (49 Euro) abgebildet sind.


Die Wissenschaftlerin Dr. Uta-Christiane Bergemann hat zusammen mit Museumsleiterin Dr. Annette Schieck und ihrer Stellvertreterin Dr. Isa Fleischmann-Heck erstmals die merkwürdige Trachtensammlung ausgewertet. Sie forschte dazu in Archiven und Museen, befragte Experten und sogar Nachfahren von Paul Prött in den USA.


Dadurch konnte manche Wahrscheinlichkeit hergestellt, aber nicht jedes Geheimnis aufgeklärt werden:
Zur damaligen Zeit griffen mache Museen zu dem Trick, unbekannte Künstler als Strohmänner vorzuschicken, um auf Auktionen unerkannt Sammlungsstücke einkaufen zu können. Möglich, dass auch Paul Prött auf diese Weise an die Trachtensammlung kam. Denn es fällt auf, dass die Sammlung nicht aus zusammengehörigen Ensembles, sondern aus Einzelteilen unterschiedlicher Herkünfte besteht.


Nur — wer sollte Prött beauftragt haben und aus welchem Grund? Da eröffnet sich eine mögliche Erklärung: In der Textilstadt Krefeld sollte damals ein Ausbildungszweig "Modeschaffen” eröffnet werden. Andere Institute nutzten zur Ausbildung von Studenten Kleidersammlungen als Vorlagen. In Krefeld fehlte eine solche Vorlagensammlung. Möglich also, dass Krefeld eine solche Sammlung anschaffen wollte. Als Geldgeber könnte die Textilwirtschaft, die an Nachwuchs interessiert war, oder auch der preußische Staat aufgetreten sein. Unterlagen dazu gibt es aber keine.

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Fügt man wie bei einem Puzzle verschiedene Wahrscheinlichkeiten zusammen, rundet sich ein Bild. Allerdings: ob es der historischen Wahrheit entspricht, bleibt unbeweisbar. "Die entscheidenden Dokumente fehlen”, bedauert Dr. Bergemann.


Unabhängig vom mysteriösen Hintergrund werden die Besucher der Ausstellung ihre Freude an den exotisch wirkenden Trachten haben. Zumal Dr. Bergemann bei ihren Analysen auf einen überraschenden Aspekt gestoßen ist, der unser Bild von Trachten neu justiert: "Trachten wurden vielfach im 19. Jahrhundert künstlich konstruiert”.


Sie wurden oftmals keineswegs als Ausdruck regionaler und ländlicher Besonderheiten von einer breiten Bevölkerungsschicht getragen, sondern von Modeschöpfern als Einzelstücke erfunden. Warum? Das 19. Jahrhundert hatte ein großes Bedürfnis nach geschichtlicher Identität. Deshalb schufen Architekten, Designer und Literaten eine künstliche Vergangenheit, die es so nie gegeben hatte. Der prächtigen Ausstrahlung der Trachten tut dies keinen Abbruch.


Eröffnung der Ausstellung: Heute 11 Uhr. Öffnungszeiten: Die bis So 11-17 Uhr.