1. Krefeld

Atemberaubende Familiengeschichte

Nachlass im Stadtarchiv : Atemberaubende Familiengeschichte

Eine ebenso abenteuerliche wie leidvolle Familiengeschichte wirft ein Licht auf eine verwilderte Zeit und ihre Nachwirkungen. Das Stadtarchiv hat sie aufgearbeitet.

Sein ganzes Berufsleben arbeitete Michael Kasajanow bei den Krefelder Edelstahlwerken, später Thyssen. Wie der gebürtige Russe mitten im Zweiten Weltkrieg nach Krefeld gekommen war und warum er nach dem Krieg zum Krefelder wurde, gleicht einer leidvollen Odyssee. Über sein abenteuerliches Leben schrieb der Rentner ein Buch. Es liegt in elektronischer Fassung im Krefelder Stadtarchiv. Dr. Christoph Moß, stellvertretender Leiter des Archivs, hat es gesichtet.

„Wir lagern im Archiv neben den offiziellen Quellen auch Selbstzeugnisse einzelner Bürger“, erläutert Dr. Moß. Das trägt zum Verständnis vergangener Zeiten wesentlich bei. Tagebücher, Fotoalben, private Briefe und andere Unterlagen können eine Geschichte „von unten“ erzählen. So liegt dem Stadtarchiv beispielsweise auch das Tagebuch eines Bockumers aus den Jahren 1779 - 1792 vor, in dem die lokale Politik gespiegelt wird. Aber ebenso  die Erinnerungen eines Stadtverordneten aus dem Jahre 1901 über die Eingemeindung von Linn sind sehr aufschlussreich. „Vieles ist noch nicht erforscht“, macht Dr. Moß auf die Nachlässe einzelner Familien aufmerksam.  

Als Sohn und Tochter von Michael Kasajanow (1924 - 2019) dem Stadtarchiv die Memoiren ihres  verstorbenen Vaters übergaben, hielt Dr. Moß einen weiteren Schatz in den Händen. Wirft dieser doch ein Licht auf eine verwilderte Zeit.

Die Familie Kasajanow litt in den 40er Jahren in Russland unter dem Terror Stalins. Sie wurde enteignet und verfolgt. Deshalb meldete sich der 18-jährige Michael freiwillig zur Arbeit in Deutschland, als deutsche Truppen 1942 weit in die damalige Sowjetunion vorgedrungen waren. In Krefeld angekommen, wurde er aber vom Nazi-Regime als Zwangsarbeiter eingesetzt. Und zwar in den Edelstahlwerken. Nach dem Krieg drohten dem jungen Mann in seiner russischen Heimat Repressalien, da er beim Feind gearbeitet hatte. Also kehrte er unter falschem Namen nach Krefeld zurück und gründete hier eine Familie. Er arbeitete wieder bei den Edelstahlwerken und bildete sich zum  Industriemeister weiter. Seine Eltern und Geschwister sah er nicht wieder. Erst 1986 konnte er in die Heimat reisen und seine Mutter wieder in die Arme schließen. Der Vater war verstorben.

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Diese und weitere schlimme Erlebnisse wirkten traumatisch. „Wenn wir den Vater nach den Ereignissen befragten, antwortete er nur bis zu einem bestimmten Punkt. Dann kamen ihm die Tränen und er brach ab,“ berichtet Tochter Vera Wegenke. „Im Alter von 80 Jahren wünschte er sich einen Computer“, ergänzt Sohn Peter Kasajanow, „er wollte seine Biografie aufschreiben.“ Überdies malte Kasajanow gern und viel. Auch dies wohl eine Möglichkeit, die Risse in der Seele zu heilen. 

 Dr. Moß hat in der aktuellen Ausgabe des Krefelder Jahrbuchs „Die Heimat“ einen Aufsatz über das bewegte Leben Kasajanows geschrieben. Ein Beitrag „von unten“ zum Thema Zwangsarbeit. Dieser konnte mit Fotos bereichert werden, da die Familie dem Archiv neben den Memoiren auch ein dickes Konvolut an Zeugnissen und Bildern aus dem Leben ihres Vaters überlassen hat. Interessenten können den Nachlass im Stadtarchiv einsehen.