1. Krefeld

Grelle Klassik im Kresch-Theater: Weltende als Popsong

Grelle Klassik im Kresch-Theater : Weltende als Popsong

Im Jugendtheater Kresch feierte ein Stück Premiere, das an die Frühzeit der Moderne erinnert.

Der Zuschauersaal der Studiobühne in Fabrik Heeder ist nicht ganz voll, das Publikum dafür aber bunt gemischt: von Jugendlichen bis zu Großvätern ist jedes Alter vertreten.


Als hätten es die Zuschauer geahnt: das Stück "Du musst Caligari werden" von Heiko Obermöller und Franz Mestre ist zwar für Jugendliche ab 14 Jahren deklariert, aber nicht weniger für den philosophisch interessierten Erwachsenen geeignet:


Zwei kindlich gebliebene Männer in weißen Jacken umkreisen einander, schimpfen sich, trösten sich, foppen sich und versöhnen sich. Das dialogische Prinzip, nach dem das Ich nicht anders als durch ein Du denkbar ist, bildet die Statik dieses Spiels.


Im Rahmen dessen ist alles absurd. Die Dialoge sind sinnfrei, die spontan wirkenden Handlungen der beiden großen Kinder ebenfalls. Hier agieren zwei Absolut-Menschen, die jenseits aller realen Bezüge nur ihre Emotionalität leben.


Die weißen Jacken und die Desinfektionsgeräte an der Wand markieren den Raum: offenbar ein Krankenhaus.


Daraus erklären sich auch ihre Namensschilder an der Brust: "Caligari". Bezug zum berühmten Stummfilm der 20er Jahre: "Das Kabinett des Dr. Caligari". Dieser erste Horrorfilm des deutschen Kinos spielt in einer Irrenanstalt und lässt offen, ob der Insasse oder der Direktor selbst ein Verrückter ist.


Das ist die Kernfrage des Expressionismus; einer Geisteshaltung um 1920, die in Kunst und Literatur die Wirklichkeit hinterfragte, indem sie sie verzerrte.


Entsprechend wirkt auch der Bühnenraum (Frank Andermahr) mit seinem Schachbrettmuster verzerrt. Videokünstler Ludwig Kuckartz verstärkt den Effekt, indem er die Bühnenwand mit flackernden Filmschnipseln in schwarz-weiß bespielt.


Vor diesem Hintergrund verpacken Heiko Obermöller und Franz Mestre Gedichte des Expressionismus ("Weltende") und des Dadaismus Hugo Ball) in fetzige Pop-Songs, die Michael C. Kent eigens komponiert hat und die keine Hitparade zu scheuen bräuchten.


Die Aufführung dauert eine Stunde. Darin mischen sich Elemente des absurden Theaters, kafkaesker Welt, expressionistischer Literatur, Pop-Musik, Komik und Gefühl. Ein Abend, der auf grelle Weise unterhält und dabei die bange Frage durchscheinen lässt: könnte die irre Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg ein Spiegel unserer eigenen sein?


Übrigens: die nächste Vorstellung ist am 4. Juli, 20 Uhr. Dann wird im Anschluss gegen 21.30 Uhr der Caligari-Film gezeigt. www.kresch.de