1. Krefeld

Neues Operngefühl: Zuhörer sitzen auf der Bühne: Das Leben hinter der Wirklichkeit

Neues Operngefühl: Zuhörer sitzen auf der Bühne : Das Leben hinter der Wirklichkeit

Nur einen Akt zählt die neue Oper des Stadttheaters. Aber diese 70 Minuten sind eine Wucht.

Zu den spannendsten Rätseln gehört es, wie wir die Welt wahrnehmen. Fliegen oder Fledermäuse sehen ganz anders als Menschen. Wenn einzelne Menschen ihrerseits "anders sehen", dann nennen wir den Zustand Krankheit. Eine solche Krankheit ist Thema der zeitgenössischen Oper "Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte."


Die seltene Sehstörung (Agnosie) wurde von dem englischen Neurologen Oliver Sacks in einem Buch beschrieben. Zusammen mit Christopher Rawlence und Michael Morris verfasste der Arzt auch das Libretto zur Oper.


Regisseur Robert Nemack inszenierte die deutsche Fassung am Krefelder Stadttheater. Und stellt dabei die Sehgewohnheiten des Publikums radikal auf den Kopf:


Die Zuschauer sitzen nicht im Parkett, sondern auf der Bühne. Deshalb sind nur 150 Plätze eingerichtet. Die sieben Musiker vom Niederrheinischen Sinfonieorchester unter dem Dirigat von Michael Preiser spielen auf gleicher Höhe. In der Mitte ist eine kleine Kulisse aufgebaut. Darin und zwischen den Zuschauerblöcken agieren hautnah die drei Sänger: Markus Heinrich gibt den Arzt, Andrew Nolen den Patient und Debra Hays seine Ehefrau.


Die seitenverkehrte Raumgestaltung spiegelt gekonnt das Thema der versetzten Wahrnehmung wider. Sie kommt zudem in der Musik zum Ausdruck:


Die Komposition von Michael Nyman kennt weder Arien noch Rezitative im klassischen Sinne. Eher wird man von gesungenen Dialogen sprechen dürfen.


Dabei geht man fehl, wenn man eine sogenannte "schräge Musik" erwarten würde. Im Gegenteil. Leicht und harmonisch wird die Handlung von der Orchestermusik geradezu lieblich umspielt. Man hört heraus, dass Michael Nyman Erfolge als Filmkomponist feierte.


Auch die Handlung bewegt sich keineswegs in einer klinischen Katastrophenstimmung. Der Patient und seine Ehefrau finden in großer Zärtlichkeit zueinander, was Nolen und Hays sehr berührend darstellen.


Wenn aber keine reale Orientierung mehr gilt, was bleibt dann noch? Es ist die Liebe zwischen den Eheleuten und die Musik. Beides führt den Menschen in eine tiefere und erfüllendere Wirklichkeit, als es die "wirkliche Wirklichkeit" sein kann.


Zumal die Wirklichkeit sowieso ein Rätsel bleibt, ganz unabhängig von einem Krankheitsbild. Bestehen die Dinge denn nicht nur aus Atomen, denen erst unsere Sinne Form und Inhalt geben?

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Ob nun die Öffnung für diese philosophischen Fragen für den Zuschauer im Vordergrund steht, die Sangeskunst, Orchesterleistung oder die schauspielerischen Qualitäten: das Premierenpublikum zeigte sich hingerissen von dieser faszinierenden Aufführung und spendete kräftig Beifall.

Weiterer Aufführungen:
27. Mai; 3., 24. Juni; 8. Juli.
Karten an der Theaterkasse, Tel.: 02151/ 805-125.